Zum Inhalt springenZur Suche springen

Vor der Bundestagswahl 2021: Wähler:innenwille und die Parteien der „zweiten Wahl“

Autor: L. Constantin Wurthmann; Projektleitung: Prof. Stefan Marschall

Vor der Bundestagswahl 2021: Wähler:innenwille und die Parteien der „zweiten Wahl“

Mit der nahenden Bundestagswahl 2021 endet nicht nur offiziell die Amtszeit der noch amtierenden Bundeskanzlerin Angela Merkel, sondern gleichzeitig auch eine politische Aufholjagd, wie sie die Bundesrepublik Deutschland noch nicht erlebt hat. Die Demoskopen sahen die SPD über Monate bei deutlich unter 20%. Diese Stimmung spiegelte sich auch in der Partei und der (politischen) Öffentlichkeit wider. Selbst die Frage danach, ob eine SPD-Spitzenkandidatur als Kanzlerkandidatur zu verstehen sei, stand zeitweilig im Raum, galt doch das Rennen zwischen CDU/CSU und Grünen um das Kanzleramt als ausgemacht. Die Situation hat sich völlig geändert: Mittlerweile gilt der SPD-Kanzlerkandidat als Favorit für die Nachfolge von Angela Merkel.

Die Dynamiken, die sich seit spätestens Mitte August in den Umfragen der großen Institute abzeichnen, bedürfen einer Erklärung. Mit den hier vorliegenden Daten, die im Rahmen eines laufenden Projekts an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf gesammelt wurden, können einige dieser Dynamiken zumindest deskriptiv besser nachvollzogen werden.[1] Dazu zählt – neben der klassischen Frage, welche Partei die Befragten zu wählen gedenken – auch die Frage danach, welche Partei die Befragten alternativ wählen würden, sofern eine solche Alternative für sie überhaupt in Frage kommt.

Im ersten Schritt erscheint so eine Bestandsaufnahme notwendig, bei der zunächst ein Rückblick auf die Werte einer entsprechenden Wahlabsicht von Relevanz erscheinen. Die hierfür verwendeten Daten wurden im Rahmen einer Online-Befragung, die repräsentativ für die Internet-Nutzer*innen ist, zwischen dem 09.08.2021 und dem 14.08.2021 erhoben. Ausschließlich Wahlberechtigte wurden für die vorliegende Auswertung einbezogen, die Gesamtzahl der Befragten beläuft sich auf 2.206 Personen.

Zum Zeitpunkt der Befragung gaben 21%, bei der Bundestagswahl 2021 die CDU/CSU wählen zu wollen, 17% die SPD, 13% die AfD, 11% die FDP, 9% die Linke und 22% die Grünen. Weitere 3% äußerten eine entsprechende Wahlabsicht für die Freien Wähler und 4% für andere Parteien (vgl. Abbildung 1).

Anschließend wurde den Befragten die Frage vorgelegt, ob sie sich auch die Wahl einer anderen Partei vorstellen könnten, und wenn dem so sei, um welche es sich dabei handele. Hierbei zeigt sich, dass rund ein Viertel der Wähler von CDU/CSU (24,1%), Grünen (23,3%) und Freien Wählern (24,3%) eine solche Alternative für nicht wünschenswert halten und die von ihnen favorisierte Partei für die subjektiv einzig wählbare Partei halten. Bei den Wählern der SPD (21,5%) und der FDP (22,7%) wird diese Auffassung von etwas mehr als jedem:r fünften Wähler:in geteilt. Einzig bei der Linken (29,6%) sowie der AfD (41,5%) liegen dazu deutliche bis sehr deutliche Abweichungen vor. Für die AfD ist eine solche Beobachtung allerdings nicht neu, da die Erreichbarkeit der AfD-Wählerschaft bereits in Analysen der vergangenen Jahre immer wieder als nur noch geringfügig ausgebildet beschrieben wurde (Neu 2021; Wagner 2017).

Auf Grundlage der hier vorliegenden Daten zeigt sich allerdings vergleichsweise klar, aus welchen Wähler:innenreservoires die SPD in den vergangenen Wochen profitiert haben könnte. Insbesondere unter jenen Wähler:innen, die Anfang bis Mitte August 2021 eine Wahl der CDU/CSU (25,1%) oder der Grünen (28,2%) avisierten, galt die SPD als attraktivste Alternative zur am stärksten favorisierten Partei. Demgegenüber waren dies im Fall der FDP (29,7%) die CDU/CSU und im Fall der Linken (33%) die Grünen. Für die AfD-Wähler:innenschaft wiederum wurde die FDP (24,7%) als am ehesten wählbare Alternative gesehen. Die Wähler:innen der Freien Wähler hingegen sind die einzige Gruppierung, bei der die AfD (21,6%) als am höchsten bewertete, alternative Option angesehen wurde. Die SPD-Wähler:innenschaft wiederum sieht in ungefähr dem gleichen Ausmaß sowohl bei der CDU/CSU (22,4%) als auch bei den Grünen (22,9%) eine wählbare Partei (vgl. Abbildung 2).

Mit den hier vorliegenden Daten lässt sich keineswegs erklären, weshalb womöglich von der Wahlentscheidung für die Parteien der zweiten Wahl Gebrauch gemacht wird oder werden könnte. Auch lassen sich keine hinreichenden Faktoren ableiten, die für eine solche Entscheidungsfindung eine Rolle spielen oder gar spielen könnten. Sie zeigen aber durchaus, welche Potenziale in den Wähler:innenschaften der unterschiedlichen Parteien bestehen und inwiefern sich diese Präferenzen auch zwischen den einzelnen Elektoraten unterscheiden. Ferner kann eine Darstellung, wie sie in Abbildung 2 erfolgt ist, auch für eine entsprechende partei- und koalitionspolitische Positionierung verwendet werden.

Autor und Projektkoordination: L. Constantin Wurthmann

Projektleitung: Prof. Stefan Marschall

 

Quellen

Neu, Viola. 2021. Des Wählers Herz. Emotionale Parteienbewertung aus repräsentativen und qualitativen Umfragen. Berlin: Konrad-Adenauer-Stiftung e.V.

Wagner, Aiko. 2017. Die Wählerperspektive politischen Wettbewerbs. Konzepte, Entwicklungstendenzen und die Schließung des AfD-Elektorats. Online verfügbar unter: democracy.blog.wzb.eu/2017/09/01/wettbewerb/ - abgerufen am 20.09.21.


[1] Das Projekt „Wahlen in stürmischen Zeiten. Neue Muster individueller Kommunikation und Information am Beispiel des Wahl-O-Mat“ wird von der Fritz Thyssen Stiftung finanziert.

Verantwortlichkeit: